BERND MILENKOVICS ist Apotheker in Graz und Präsident des Österreichischen Kneippbundes.

Foto: Bernd Milenkovics

Standard: Was ist klassisch die erste Annäherung ans Kneippen?

Milenkovics: Wenn es das erste Mal im Leben irgendwo zwickt und zwackt. Kneippen wird eigentlich mehr mit Vorsorge in Verbindung gebracht. Man stößt aufs Kneippen, wenn der Arzt sagt, man soll etwas für die Gesundheit tun. Das ist meistens so ab dem 35. Lebensjahr. Da haben viele schon Kinder, die Belastungen sind hoch. Viele Frauen entdecken dann das Kneippen. 80 Prozent der Mitglieder unseres Vereins sind weiblich.

Standard: Ist Kneippen eine Kur?

Milenkovics: Ja, aber es steht eine gesamte Philosophie dahinter. Die setzt sich aus fünf Säulen zusammen: Wasser, Heilkräuter, Bewegung, Ernährung und Lebensordnung. Zuerst einmal verbindet man Kneippen sofort mit kaltem Wasser, aber es ist viel umfassender und bindet nicht nur den Körper, sondern auch Geist und Seele mit ein. Eine zentraler Gedanke ist die Frage: Wie gehe ich mit mir um? Das Tolle am Kneippen ist, dass man es zu Hause und ohne großen finanziellen Aufwand betreiben kann. Es geht in erster Linie darum, regelmäßig etwas für seine Gesundheit zu tun.

Standard: Basiert das heutige Kneippen auf der ursprünglichen Lehre des Pfarrer Kneipp?

Milenkovics: Im Wesentlichen ja, aber manches ist an die heutige Schulmedizin angepasst worden. Im Grunde ist Kneippen kein alternativ-, sondern ein schulmedizinisches Programm. Die Wasseranwendung ist eine Reiztherapie, die darauf beruht, dass der Wechsel von kalt und warm nicht nur an dem Ort der Anwendung wirkt, sondern, dass es korrespondierende Organe dazu gibt. Was Pfarrer Kneipp beim Wassertreten gespürt hat, kann man heute in Untersuchungen nachvollziehen. Es ergibt sich eine Erhöhung der Temperatur im Nasen-Rachen-Bereich. Dort dringen viele Bakterien und Viren als Erstes ein. Erhöhte Temperatur heißt höhere Immunabwehr.

Standard: Ist Kneippen als Gesamtkonzept eigentlich familientauglich?

Milenkovics: Absolut. Es gibt bereits lizensierte Kneipp-Kindergärten. Die Kinder sind sehr begeistert, und man merkt, dass sie eine andere Einstellung zur Gesundheit bekommen.

Standard: Gibt es eine bestimmte Jahreszeit fürs Kneippen?

Milenkovics: Eigentlich nicht. Kneipp-Anwendungen kann man rund ums Jahr machen, aber auch täglich, wie etwa das, was ich den Kneipp'schen Espresso am Vormittag nenne. Das ist ein Armbad, das die Durchblutung im Kopf fördert.

Standard: Kann man beim Kneippen auch etwas falsch machen?

Milenkovics: Ja. Den häufigsten Fehler, den die Leute machen, sind kalte Anwendungen auf dem kalten Körper. Ein zweiter Fehler ist, wenn zu viele Anwendungen hintereinander gemacht werden. Der Körper braucht Zeit. Mehr als zwei oder maximal drei Anwendungen pro Tag macht man auch während einer Kneippkur nicht. Und auch bei der Bewegung gilt: Es soll Spaß machen. (Julia Grillmayr, DER STANDARD Printausgabe, 9.8.2010)